Eine Fantasie: Weinstampferin

Ich trage ein luftiges Sommerkleid, mit zwei Lagen Stoff über dem Part, der Hüfte und Beine umschmeichelt. Es ist burgunderfarben und schwingt bei jeder Bewegung leicht hin und her. Es reicht mir bis zur Mitte meiner Oberschenkel. An meinem Oberkörper liegt es eng an und betont, was es betonen soll und umspielt, was es umspielen soll. 
Meine Füße stecken in schwarzen FlipFlops, die ich bei jeder Gelegenheit von den Füßen ziehe. Ich mag es barfuß zu laufen und die verschiedenen Untergründe unter meinen Zehen zu spüren. Barfuß ist Sommer und in diesem bediene ich barfuß die Pedalen meines kleinen schwarzen Mietautos, um ein wenig von Italien, oder besser gesagt, der Toskana zu erkunden. Ich habe mir vorgenommen, ein Chateau anzusteuern. Ich lasse den linken Arm entspannt aus dem offenen Fenster baumeln und halte das Automobil mit der rechten Hand auf der Straße. Ich registriere die wunderbare Landschaft, die endlosen Felder. Es ist August und die Natur zeigt sich noch einmal mit aller Kraft, strahlt in sattem grün, bevor sie in den nächsten Wochen und Monaten dem Lauf der Jahreszeiten folgt. Noch aber rieche ich den süßen Duft der Felder, die an mir vorbeiziehen. Mir kommt nur selten ein anderes Auto entgegen. Ich genieße die Stille und das Alleinsein. 
Mit dem Alleinsein ist es wie mit so vielen Dingen im Leben, manchmal ein Geschenk und manchmal ein Fluch. Heute wahrlich willkommen.
Die Straße wird nun hügeliger und im Tal, welches sich vor mir erstreckt, erkenne ich ein kleines Dorf. Ich passiere den Ortseingang und stelle mit freudiger Erregung fest, dass hier heute gefeiert wird und beschließe eine Rast zu machen. Über den Straßen hängen Girlanden, Musik dröhnt zwischen den Gassen hervor und die Bewohner vergnügen sich ausgelassen dazu. Die Sonne, die allmählich am Horizont herabsinkt, taucht Groß und Klein in goldenes Licht. Trotz der intensiven Strahlen nehme ich meine Sonnenbrille ab, um jede Nuance unverfälscht in mich aufzusaugen. 



Ich parke das Auto seitlich am Straßenrand und steige aus. Mit bloßen Füßen folge ich der Musik, lausche ihrem Ursprung. Die alten Männer, die in kleinen Gruppen vor den Haustüren sitzen mustern mich, Kinder rennen mir vor die Füße und Pärchen turteln an mir vorbei. Es wird laut gelacht, laut diskutiert und laut gesungen. Ich lächle vor mich her und bin seltsam schüchtern. Es fühlt sich an, als tauche ich meinen Kopf in ein buntes Aquarium. Ich bin fasziniert, aber gehöre nicht hierher. 
Plötzlich stehe ich auf dem Marktplatz. Nun sehe ich die schwarzen Lautsprecher, die die Stadt beschallen. Ich steuere auf ein kleines Restaurant zu und bestelle einen Kaffee. Auf dem Platz stehen große Fässer. 



Nach und nach steigen Frauen hinein. Ich kann den Inhalt nicht sehen, aber vermute, dass sie Trauben stampfen. Sie gackern herum und ich muss unwillkürlich mitlachen, angesichts dieser Heiterkeit. Wie sich das wohl anfühlt? Ich ziehe meine Kamera aus der Tasche und halte die Szene fest. In dem Moment bringt der Kellner meinen Kaffee. Er fragt mich auf Englisch, ob ich auch mal hinein will. Ich winke verlegen ab, aber er ruft etwas auf Italienisch zu der Menschentraube, die sich um die Fässer versammelt hat. Ich reiße die Augen kurz auf und bin auf meinem Stuhl erstarrt. Ein alter Mann löst sich von den anderen und kommt, die rechte Hand ausgestreckt, auf mich zu. Ich lache und gebe mich geschlagen. "Was solls?", denke ich mir und reiche ihm aufgeregt meine Hand. Er drückt galant einen flüchtigen Kuss obenauf und zieht mich bestimmt zu den Anderen. Ich drücke einer fremden Frau in blindem Vertrauen meine Habseligkeiten in die Hand und lasse mir nun von zwei anderen Männern hoch helfen. Ein bisschen unbeholfen klettere ich hinein, erstarre dann und quieke einmal wenig elegant auf, als ich die kalte, matschige Masse spüre. Die Männer die mich von unten erwartungsvoll ansehen, sprechen kein Englisch und fangen stattdessen an auf der Stelle zu marschieren und zeigen dann auf mich. Ich verstehe! Ich raffe mein Kleid hoch und fange an. Gar nicht so leicht, aber es fühlt sich albern an und ich fange erst an zu kichern, dann lauthals zu lachen. Ich halte mich am hölzernen Rand fest und werfe endorphingesteuert meinen Kopf in den Nacken. Was für eine wunderbare Schweinerei. Ich stampfe mit aller Kraft, stampfe und stampfe. 
Wehmütig lasse ich mir bald darauf wieder heraus helfen. Unten steht ein Trog mit klaren Wasser bereit. Ich wasche sorgfältig meine Füße. Der alte Mann, der mich zuvor aus dem Restaurant entführt hat, übernimmt das Abtrocknen und bringt mich dann wieder zurück zu meinem Platz. Ich lasse mich in den Sitz fallen, nippe an meinem lauwarmen Kaffee und denke still, wie unerwartet schön es doch immer wieder ist, barfuß zu sein.