Sympathy For The Devil I

Stockender Verkehr begründet im allmorgendlichen Verkehrstsunami, dessen Epizentrum in den Käffern des Landes lag. An diesem Tag ritt ich die Welle, die sich durch die A40 zwängte, um am Ende meiner großen Reise im Herzen des Ruhrgebiets, das Hauptquartier eines namenhaften Händlers zu überschwemmen. 



Mich erwartete dort ein Bewerbungsgespräch, genaugenommen ein Assessment-Center, das sich über den gesamten Tag erstrecken sollte. Es war Mitte Oktober 2015 07:12 Uhr - ich war fürchterlich aufgeregt. Es ging um den ersten Job nach meinem Studium – einem Trainee in der Unternehmenskommunikation. Dabei handelte es sich um eine Ausbildung bzw. ein Mentoren-Programm für Akademiker, um nach ihrem theoretischen Abschluss Fuß in einem Konzern zu fassen.
Jeder hatte mir gesagt, ich müsse mich vorbereiten. Ich las natürlich ein wenig im Internet, aber eine stringente Planung zählte nicht zu meinen Stärken. Ich bereitete mich auf faktische Dinge wie meine Gehaltsvorstellung oder meinem Eintrittsdatum vor, aber den Rest ließ ich auf mich zukommen. Im schlimmsten Fall machte mich das sonst unflexibel oder ich wirkte gestellt, was nun wirklich ein Jammer wäre, denn ich war der verdammte Hammer und dadurch zu der Überzeugung gelangt, dass gerade Authentizität ein, wenn nicht sogar der Faktor war, der letztlich über Sieg und Fall entschied.



Ich war pünktlich um 09:00 Uhr da. Am Eingang nahm mich eine Frau mittleren Alters in Empfang. Sie trug ein rotes, ballonartiges Baumwollkleid, das ihren schlanken, hochgewachsenen Körper wie einen Sack Kartoffeln versteckte. Sie hatte eine sehr sanfte Stimme mit einem melodischen Klang. Ihre Haare, sie waren dunkelbraun und kinnlang, strich sie sich immerzu hinter ihr rechtes Ohr. Sie bewegte sich sehr gelassen und blickte wach und milde durch ihre Augen. Ich mochte sie. Während wir die Rolltreppen zum Besprechungsraum hochfuhren, bekam ich eine erste Gelegenheit, um meine Mitbewerberinnen zu mustern. Die eine, kaum älter als ich, wirkte fad. Haut und Haare hatten denselben langweiligen Ton wie ihr beiges Businesskostüm, in dem sie verkleidet wirkte. Sie hatte einen Masterabschluss und bereits bei einer Zeitung gearbeitet. Die andere war deutlich älter und trug einen dunkelblauen Hosenanzug. Sie wirkte nicht weniger grau als die andere, aber deutlich selbstbewusster, was sich auch in ihrer kräftigen Stimme ausdrückte. Sie hatte nach ihrer Elternzeit keine neue Festanstellung bekommen und es graute ihr zu ihrem alten Arbeitgeber, einem angestaubten Käseblatt, zurückzukehren. 
Die angenehme Personalerin machte 0815-Smalltalk zum warm werden. Wie es uns ging und ob wir gut her gefunden hätten. Neben den Fragen erläuterte sie uns genauso standardisiert wie sich der Tag gestalten würde. Die Mutti kommentierte alles vollkommen übertrieben.
„Die Hauptverwaltung ist bereits in den 20ern erbaut worden.“, erzähle die Personalerin.
„Wow, ganz toll.“, kommentierte die Mutti.
„Wasser und Kaffee stehen Ihnen die ganze Zeit zur Verfügung.“
„Ah ja, mmhhm, sehr gerne, danke.“
„Hier drüben sind übrigens auch die Toiletten.“
 „Ah ja, mmhhm, ja, sehr gut.“
„Wenn Sie das Bedürfnis haben sich die Pulsadern aufzuschneiden. Rasierklingen liegen am Flip Bord bereit.“, schlug unsere Führerin vor.
„Ah ja, mmhhm, toll, sehr gerne.“
Das Suizid-Angebot habe ich mir selbstredend aus den Fingern gezogen, aber ich wünschte die Mutti hätte sich im Klo runtergespült. Sie wusste ja schließlich nun wo sich die Sanitäreinrichtung befand.
Wir wurden in einen Raum geführt und uns mittels Namenskarten ein Platz zugewiesen. Ich saß der Mutti gegenüber, die Maus zwischen uns. Und während ich da saß, vollkommen underdressed wie mir bewusst wurde, lief ein Mann mehrmals vor der Tür her und schaute unfreundlich ins Zimmer. Ich drehte gedankenverloren meinen Nasenring zurecht und zog meinen Pferdeschwanz fest. Die Personalerin wies uns erneut auf den Kaffee hin und ich griff glücklich zu, aber das Gebräu schmeckte wie die wirtschaftliche Lage des Konzerns – beschissen. Ich kippte Milch nach, um den bitteren Geschmack zu übertünchen. Eine junge Frau betrat den Raum. Sie trug ihre blonden, dünnen Haare zu einem Zopf gebunden und lächelte zurückhaltend durch die rechteckigen Gläser ihrer Brille. Sie war sehr zierlich, was ihr enganliegendes, schwarzes Kleid umso mehr betonte. Alles an ihr wirkte winzig. Ihre blauen Augen, die Nase und der Mund. Selbst ihre Hände, mit denen sie immerzu den Anhänger ihrer silbernen Kette berührte. Ich konnte sie nicht einordnen, da sie kaum ein Wort sagte und aussah wie eine von Millionen. Wobei dies am Ende wohl die beste Beschreibung war. Neutral, reserviert und freundlich. Der Mann mit den fast schwarzen, kurzgeschorenen Haaren, der zuvor so ernst dreinschaute kam nun ebenfalls rein. Das war er also, der Leiter der Kommunikation...