Zeitreisende III: Zurück in Indochina

Am späten Nachmittag wurden wir zurück in unser Hotel gebracht. Wir besorgten uns ein paar Getränke und setzten uns auf den Balkon. Dort zog ich zu allererst meine FlipFlops aus und inspizierte meine geschändeten Füße. An dieser Stelle kann ich nur jedem empfehlen, ungeachtet der Temperatur und den guten Witterungsbedingungen des Geländes, festes Schuhwerk anzuziehen. Von den Blasen abgesehen, waren meine Füße verbrannt und schmutzig. Nachdem ich mich in aller Ruhe verarztet hatte, dachte über den Tag nach und sah zu, wie die eisgekühlte Dose in der trägen Mittagshitze von außen anfing zu perlen. Ich beobachtete, die kleinen Tropfen, die in winzigen Bächen die Dose hinunter rannten. Darunter bildete sich bereits eine kleine Pfütze. Ich zog an meiner Zigarette, bestaunte auf meinem Smartphone die Bilder, die ich heute geknipst habe und ließ den Tag Revue passieren. Mir wollte einfach nicht einfallen, wie ich dieses sonderbare Gefühl, das mich durchströmte, benennen könnte. Ich schüttelte den Gedanken ab und ging hinein in das klimatisierte Hotelzimmer und schmiss mich erstmal aufs Bett. 
Nicht lange danach, frisch gemacht und mit neuer Energie, holte uns Ry wieder ab, um uns in die Stadt bzw. zu einem Massagestudio zu bringen. Das Studio lag außerhalb des Zentrums, in einem Hinterhof und sei, laut ihm, ein echter Geheimtipp. Vor allem ein recht teurer wie mir später bewusst wurde. Innen saßen mehrere, gelangweilt dreinblickende Kambodschanerinnen, die ungeduldig darauf warteten, dass etwas passierte und wir uns für eins der vielen Angebote entscheiden würden. Ich glaube, Ry kannte die Leute oder war sogar mit denen verwandt und wollte, dass sie mit uns ein Geschäft machten. Was absolut ok gewesen wäre, wenn sich der Geheimtipp auch als solcher bewiesen hätte. Bevor man uns zu den Liegen brachte, saßen wir ähnlich wie in einer Arztpraxis in einer Art Wartebereich, als ich plötzlich bemerkte, wie sich etwas im meinem seitlichen Blickfeld bewegte. „Bah, guck mal, ne Kakerlake.“, sagte ich angewidert. Meine Freundin gab einen spitzen Ton von sich und zog die Füße panisch nach oben. Ich schmunzelte darüber, denn sie war so furchtlos und übernahm jede Tötung für mich, weil ich zu feige war, um mich den Krabbelviechern zu nähern. Kakerlaken brachten aber auch sie zum Schwitzen. Eine der Damen nahm unsere Darbietung zur Kenntnis, zog sich den Schlappen vom rechten Fuß und schlug zweimal erbarmungslos zu. Danach schob sie den toten Körper mit ihrem nackten Fuß nach draußen. Ging ja prima los. 
Wir wurden in den Raum mit den Liegen gebracht, drapierten uns auf zwei nebeneinander stehenden Modellen und warteten. Ein junges Mädchen kam hinein, widmete sich meinem Rücken und ich schloss die Augen. Nach wenigen Minuten fing ich jedoch erbärmlich an zu frieren als ich dem eiskalten Luftstrom der Klimaanlage ausgeliefert, nackt da lag. Die Masseurin, die mit festen, harten Händen meinen Körper malträtierte, ignorierte meine kläglichen Änderungswünsche mit einem debilen Lächeln und machte unbeirrt weiter. Ich glaube, sie hatte keine Ahnung was ich von ihr wollte. Höflich wie ich war oder eher aufgrund meiner indiskreten Ausgangslage, verzichtete ich darauf zu eskalieren, zumal meine Freundin bei einem schnellen Blick nach links wie immer aussah als würde sie in höheren Sphären schweben. Ich ließ meinen Kopf wieder in das Loch in der Liege sinken und starrte auf den Boden - unentspannt und penibel darauf konzentriert, was die Frau als nächstes tun würde, denn ich kam zu dem Entschluss, dass sie keinen Schimmer hatte, was sie dort tat. Und ich gab mich einfach nur noch der Hoffnung hin, dass sie nichts kaputt machen würde. Nach endlos erscheinenden 60 Minuten, ließen uns die Frauen zurück, damit wir uns wieder anziehen konnten. Verwirrt schaute ich zu meiner Freundin: “Und?“ „Ja, ich fand es ganz gut. Du nicht?“ 
Was habe ich gesagt? 
Sunny stand vor der Fahrertür seines silbernen Wagens, glücklich wie immer und kutschierte uns zum letzten Mal an diesem Tag. Das penetrant riechende Öl lag wie ein schwerer Film auf meinem Körper als wir im gemächlichen Tempo durch Siem Reap oder besser gesagt über den Old Market schlenderten. Gefangen in meiner persönlichen Pain mich nicht für ein Souvenir entscheiden zu können, lief ich immer und immer wieder an denselben Händlern vorbei. 


Das einzige, was ich mir bis dahin gegönnt hatte war ein kleiner, schwarz-weißer Turnbeutel, der für die anstehenden Touren perfekt war. Und dabei bleib es auch an diesem Abend, denn wir bekamen Hunger und gingen zur Pub Street. Wir nahmen in einem der vielen Restaurants Platz und ich bestellte wie immer etwas, von dem ich hoffte, ich würde nicht an einer viralen Superinfektion krepieren. Sprich, ich aß seit Tagen Reis mit Gemüse bzw. in Siam Reap Khmer Curry, das ich selbstverständlich separat voneinander servieren ließ, damit mir wenigstens noch der Reis blieb, wenn mir der Rest nicht schmeckte. Ein trauriger Anblick, ich weiß.


Nicht so meine verrückte Freundin. Die probierte und lies sich auf alles ein. Ich war abwechselnd beeindruckt und angeekelt. Meistens aber neidisch, weil die Dinge, die sie bestellte gar nicht mehr so fürchterlich waren, wie sie sich zuvor in der Karte angehört hatten und noch weitaus besser schmeckten. Mit Verdruss musste ich zudem feststellen, dass meine Freundin nicht nur die kulinarischen Feinheiten des Lands erkundete, sondern auch, dass sie sich jeden Tag aufs neue an bester Gesundheit erfreute. Nachdem wir gegessen hatten brachen wir rasch wieder auf, denn Sunny und Ry, würde uns mitten in der Nacht abholen, damit wir pünktlich zum Sonnenaufgang vor Angkor Wat stünden.

Als wir gegen 04:30 Uhr parkten, hatte die Luft eine angenehme Temperatur. Ich kam gut klar mit dieser gottlosen Zeit, nur dürstete es mir nach einem köstlichen Kaffee. Direkt neben dem Parkplatz hatte ein kleiner Stand, der Eiscafé anbot, für die verwöhnten Touristen geöffnet. Ich überredete meine Freundin einen zu kaufen, bevor wir uns auf den Weg machen. Sunny stand wieder der Schweiß auf der Stirn, bei einem Blick auf die Uhr und einem vorsichtigen Hinweis auf die aufgehende Sonne. Obwohl Kambodscha noch immer in Dunkelheit getaucht schlief, kündigte sich am fernen Horizont, der anbrechende Tag an. Ich aber ignorierte Sunny selbstverständlich und holte mir in aller Ruhe einen Kaffee. Ich ließ mich doch nicht hetzen! Während ich in meiner grenzenlosen Sturheit dastand und dabei zusah, wie die junge Frau im Wagen seelenruhig den Kaffee zubereitete, registrierte ich die Masse an Touristen, die nach und nach von ihren Guides aus den Bussen gekippt wurden. Ich wippte ungeduldig mit dem Bein, denn plötzlich hatte ich es doch eilig. Hätte Sunny nicht sagen können, dass er bestens organisiert wie er war, extra so früh losgefahren war, damit wir vor der Masse da waren? 
Nachdem wir unseren Kaffee in den Händen hielten, marschierten wir im Eilschritt zum Tempel der Tempel. Wir passierten die Eingangskontrollen und zwangen uns durch den Strom, der noch immer gemütlich vor uns hertrottete. Als wir vor Angkor Wat ankamen, suchten wir uns zur linken auf der Wiese einen Platz vor dem See. Auf einer Mauer setzten wir uns hin und warteten. Es war nun kurz vor 5 Uhr am Morgen. Der Aufgang war für diesen Tag auf 5:20 Uhr datiert. Immer mehr Menschen fluteten die grüne Ebene und versperrten uns den Blick auf den Himmel, sodass wir gezwungen waren aufzustehen. Ich holte mein Handy raus, um in weiser Voraussicht die Linse meiner Kamera zu putzen und beobachtete mit Spannung den intensiven Farbwechsel. Plötzlich, auf die Sekunde genau, setzte ein kreischendes Konzert ein. Die Zikaden waren erwacht, begrüßten die Sonne mit einem ohrenbetäubenden Krach und ich bekam Gänsehaut. Die Farben am Firmament wechselten in allen erdenklichen Orange- und Gelbtönen und Angkor Wat spiegelte sich glasklar in dem schwarzen Tümpel vor dem wir standen. 


Die Selfiesticks wurden gezückt und jeder bemühte sich darum, dass bessere Foto zu bekommen. Schnell wurde mir eins klar: Ich war so damit beschäftigt, ebenfalls das perfekte Foto zu schießen, dass ich den Sonnenaufgang kaum erlebte. Noch bevor die Sonne richtig aufgegangen war, beschlossen meine Freundin und ich, dass wir genug von all den Menschen und der entzauberten Stimmung hatten. Wir hatten gesehen was wir wollten. Wir fanden Sunny vergnügt bei seinen Guide-Freunden und teilten ihm mit, dass wir weiter wollten. Er wirkte verständnislos und deute auf den heller werdenden Himmel. Wir boten ihm an, dort zu bleiben, weil wir noch einmal kurz zur anderen Seite laufen wollten, um den Himmel aus einer anderen Perspektive zu bewundern. Sunny schwieg, schwang sich seinen kleinen Rucksack über die Schulter und trottete uns hinterher. Auf der anderen Seite stellten wir fest, dass die Sicht von hier viel besser war und Menschen waren auch kaum da. Ich warf Sunny einen verärgerten Blick zu.


Nach wenigen Minuten waren wir gesättigt von dem Schauspiel und wollten zum nächsten Tempel. Sunny erklärte etwas verlegen, dass die anderen Tempel erst um acht Uhr öffnen würden. Sunny, Sunny, Sunny. Wir schlugen danach ein wenig die Zeit tot und wurden schließlich von unserem Fahrdienst eingesammelt, der uns zum Ta Prohm bringen wollte. Im Inneren des Autos saß aber nicht mehr Ry, sondern ein anderer Mann, dessen Vorname mir nicht mehr einfallen wollte, aber er stellte sich als der Onkel von Ry und der Besitzer des Guide-Services vor. Nennen wir ihn Asean. Er reichte uns ein kaltes Wasser, ein feuchtes Tuch mit Zitronenduft, das er uns mit einer Zange hinhielt und öffnete uns die Türen, damit wir es uns in der klimatisierten Limousine gemütlich machen konnten. Ich konnte nicht einschätzen wie alt er war, aber vermutete Anfang dreißig. Wir führten ein wenig banalen Smalltalk und ich versuchte zwanghaft weg zu dämmern, denn nach halber Strecke fing Sunny übermotiviert und überkorrekt wie er war, an, uns das Intro für die nächste Sehenswürdigkeit zu geben. Ich schob mir schnell Kopfhörer in die Ohren und tat als würde ich schlafen. Die Fahrt dauerte etwa 20 Minuten. Wir waren die ersten Touristen und ein Gefühl der Glückseligkeit ergriff von mir Besitz. Niemand der nervte, ausgenommen Sunny natürlich, aber den hatten wir dafür bezahlt. Eine Gruppe wichtig aussehender Japaner fuhr mit zwei SUVs vor. Kurz überlegte ich, ob es sich vielleicht um Koreaner oder vielleicht sogar um Kim Jong Un handeln könnte, weil ein pummeliger, heller Asiate mit Pottschnitt von allen verhätschelt wurde. Ich warf den Gedanken aber schnell wieder ab, denn dann wäre höchstwahrscheinlich weit mehr Aufwand betrieben worden. Vollkommen zu Unrecht natürlich, aber das war ein anderes Thema. Pseudo-Kim und seine Diener wurden exklusiv rein gelassen und der Pöbel schmachtete weiterhin vor den heiligen Toren. Ich rauchte noch eine, versuchte Sunny nicht unnötig in die Augen zu schauen, weil ich befürchtete er könne das als Aufforderung verstehen, etwas zu sagen. Ich musterte ihn heimlich und merkte immer wieder, dass er irgendwie anders war. Langweilte ihn sein Job, obwohl er mit so einer Begeisterung von all dem sprach? Er lachte auch hin und wieder über irgendetwas was er in seinen trockenen Monolog einbaute. Meine Freundin und ich sahen uns dann kurz an, zuckten mit den Schultern und lächelten höflich mit. Die meiste Zeit war er aber sehr steif in seinem beigen, zugeknöpften Safari-Suit. Er sah ein bisschen aus wie ein Pfadfinder. Sunny setzte sich plötzlich in Bewegung und wir eilten hinterher.  Endlich war es soweit. Ta Prohm oder auch der Dschungel-Tempel. Der Komplex wurde zwischen dem 12. und 13. Jahrhundert erbaut und bestand u. a. aus Tempeln und einem Kloster. Ich war gespannt. Meine Erwartungshaltung war nach gestern ein wenig gesunken und so ermahnte ich mich zur Ruhe. Wir liefen einen schlottrigen, staubigen Weg entlang der von knorrigen Wurzeln überwuchert war, die über der Erde wuchsen. So etwas hatte ich noch nie gesehen. Die Bäume waren riesig. Am Ende des Weges war der Tempel zu erkennen. Auf den ersten Blick deutlich verkommender als die Anlage die wir uns gestern angesehen hatte. Wir gingen hinein und dann verstand ich plötzlich, warum Ta Prohm den Beinamen Dschungel-Tempel trug. Die Gemäuer waren verfallen und verwahrlost, die Natur hatte sich über die Jahrhunderte mit brachialer Gewalt ihren Weg durch die Steine gesucht. Riesige Wurzeln suchten sich überall ihren Weg, zwischen den herumliegenden Steinen wuchs Unkraut, kleine Echsen, liefen zwischen den Füßen entlang. Ich war vollkommen verzaubert. 
Es war, als wäre der Tempel eins mit der Natur geworden. Vergessen und sich selbst überlassen. Es war großartig. Nur eine handvoll Menschen waren da und sprachen leise miteinander. Die vorherrschende Geräuschkulisse wurde von der Natur und nicht den Touristen geschaffen. Ich kam aus dem Stauen nicht mehr heraus. Auch Sunny registrierte meine Begeisterung, denn zum ersten Mal musste er auf mich warten und nicht ich auf ihn.  Ich wollte in jede Ecke, jeden Winkel erkunden. Ich hätte ewig dort sitzen und dieses Gefühl in mich aufsaugen können. Diese Ruhe, diese Einmaligkeit. Ta Prohm war ein wahres Erlebnis. 




Da wir einen straffen Zeitplan vor uns hatten musste ich mich mich schneller als mir lieb von diesem faszinierenden Ort verabschieden. Zu dritt verließen wir das Gelände und gingen eilig zurück zum Auto. Es war noch keine 10 Uhr und mir lief der Schweiß die Schläfe hinab. Als das Auto in Sichtweite kam stürmten kleine Kinder auf uns zu und wollten uns Souvenirs verkaufen. Flöten und kleine Spielzeuge. Keines der Kinder war älter als 9 oder 10 Jahre. Ein kleines Mädchen, mit schwarzen Haaren und eben so dunkel wirkenden Augen lief mir hinterher und rief immer und immer wieder "One Dollar". Ich wollte nichts kaufen und wusste, wenn ich einem der Kinder etwas abkaufen wollte, dann müsste ich allen Geld geben. Ich war tatsächlich überfordert. Wir wiegelten die Kinder ab und gingen weiter zum Auto. Nur das Mädchen gab nicht nach. Sie war um die sechs Jahre alt, vielleicht jünger. Ich schüttelte stumm mit dem Kopf und stieg in das klimatisierte Auto. Ich weiß nicht warum, aber ich träumte noch lange danach immer wieder von diesem Mädchen und ihr "One Dollar" hallte in mir nach. Hätte ich ihr Geld geben sollen? Dieser Dollar hätte mich nicht ruiniert. Ich ärgerte mich zutiefst, dass ich nicht meine Börse gezückt hatte, um den Kindern eine Flöte abzukaufen. Mein schlechtes erste-Welt-Gewissen plagte mich. Erst recht nach dem wir auf dem Weg zum nächsten Tempel der rund 40 Minuten entfernt lag am echten Kambodscha, abseits der Touristen-Pfade, vorbeikamen. Kambodscha war ein Entwicklungsland. Das erste in dem ich bis Dato war. Laut Statistischem Bundesamt lag das BIP pro Kopf im Jahr 2016 bei 1.278 $. Zum Vergleich: In Deutschland betrug das BIP pro Kopf im Jahr 2016 rund 42.177 $. 
Und das sah man deutlich. Kleidung, Behausung und Infrastruktur waren abseits Siem Reap in schlechtem Zustand. Das war das erste Mal, dass ich so geballt wirtschaftliche Armut sah. Umso mehr fühlte ich mich in Bezug auf das Mädchen wie ein ignoranter Trottel. Asean und Sunny fingen an sich mit uns zu unterhalten. Die Sonne stand kurz vom Zenit und die Felder um uns herum flirrten. Sunny erklärte klärte uns über die Palmöl-Produktion auf, als wir an riesigen Plantagen vorbei fuhren. Dann fingen wir an uns über Cashews zu unterhalten. Sie erklärten uns das Cashews am Baum wuchsen und die Nuss unten, aus der pelzig schmeckenden, unbrauchbaren Frucht hinaus wuchsen. 

"I have never seen such a tree. If you see one, let me know.", sagte ich ins Auto. 
Asean machte eine Vollbremsung und sagte etwas zu Sunny. Wir hielten vor einem kleinen Privathaus. Sunny stieg aus, lief schnell zu einem der Bäume an der Straße, rieß eine Frucht ab und rannte zurück zum Auto.
"Haben die eben in einem fremden Garten eine Cashew-Frucht für uns geklaut?", fragte ich.
Meine Freundin fing an zu lachen und Sunny reichte uns die Frucht nach hinten. Die Cashew war schon ab, aber ich war begeistert von Sunnys krimineller Tat und seiner dunklen Seite. Ich inspizierte das Gewächs und reichte es an meine Freundin wieder.



Sunny meinte, wir könnten probieren. Da war er bei mir natürlich an der ganz falschen Adresse. Meine Freundin hingegen zuckte einmal mit den Schultern und biss hinein. Sie verzog das Gesicht und Sunny lachte. Ich beobachtete sie angespannt in Erwartung eines anaphylaktischen Schocks. Sie reichte mir die Frucht zurück und ich warf sie in einem unbeobachteten Moment aus dem Fenster. Ich war ja schließlich nicht lebensmüde. Denn wie hieß es so schön? "Cook it, peel it or leave it." und ich entschied mich entsprechend diesen Mantras für letzteres. Als nach 15 Minuten weder ihre Augen aus den Höhlen traten, noch ihre Atemwege zu geschwollen waren, entspannte ich mich wieder und freute mich darüber, dass meine Freundin zumindest noch diesen Tag überleben würde oder keine ernsthaften Schäden davon trug. Denn ich hatte mich natürlich im Vorfeld über die ärztliche Versorgung unserer Zielländer informiert und Kambodscha war eines der Länder, in denen man besser nicht krank wurde. 
Wir besichtigten noch vier weitere Tempel an diesem Tag. Alle waren anders und auf ihre Art faszinierend. Ich sammelte eine Erinnerungen und einen Eindruck nach dem anderen.







Meinen Favoriten, Ta Prohm, hatte ich allerdings am Morgen bereits besichtigt. Am Ende kehrten wir in einem kleinen Restaurant ein, in das uns Sunny und Asean brachten. Die hatten bei all den Touristen und angesichts der schlechten Qualität des Essens sicherlich irgendeinen Deal mit dem Gastronom. Ich bestellte ein kaltes Bier, nahm Platz und genoss das plötzlich einsetzende Gewitter. Ich mochte den Geruch und das Geräusch von prasselndem Regen. 
Asean kam zu uns an den Tisch und überreichte uns jeweils ein selbst geflochtenes Armband, auf dem unsere Namen eingestickt waren. Seine Frau hätte die für uns gemacht. Meiner war falsch geschrieben, aber es zählte ja die Geste. Darüber hinaus bot er uns an, auch wenn wir das nicht gebucht hatten, uns am frühen morgen zum Flughafen zu bringen, denn wir hatten ihm erzählt, dass wir Morgen wieder abreisen mussten. Letztlich bezahlten wir noch Sunny, legten ein großes Trinkgeld für sein Engagement oben drauf und verabschiedeten uns zurück in Siem Reap zum vorletzten Mal von den beiden. 

Am späten Nachmittag kamen wir erschöpft und glücklich wieder in unserem kleinen Hotel an. Ich begrüßte Rudi, unseren Geko-Freund-und-Helfer und sprang unter die Dusche. Heute war unser letzter Abend und wir wollten noch einmal durch Siam Reap schlendern. 

An diesem Abend wurde mir klar, was ich in Kambodscha empfand: Exotik. 
Das war das erste mal in meinem Leben, dass ich etwas exotisch fand. Alle Reiseziele in Europa waren uns am Ende doch zu ähnlich. Aber hier war alles fremd und anders. Die Menschen, das Essen, die Gerüche. Kambodscha begeisterte mich. Und es war mehr noch. Ich hatte teilweise das Gefühl, die zeit sei stehen geblieben. Die Häuser im Kern von Siem Reap zeugen noch von der Zeit als Kambodscha ein Protektorat Frankreichs war. Die Art wie man uns begegnete, ließ mich denken, wir wären noch immer in dieser Zeit. Meine Freundin empfand es ganz ähnlich. Das Herumkutschieren, die kühlen Tücher, die uns zaghaft mit einer Zange angereicht wurden, die Koffer und Taschen, die bei jeder Gelegenheit für uns getragen wurden, jeder Wunsch, der uns von den Lippen abgelesen wurde, Sunny, der freundlich mahnte, aber niemals widersprach, wenn seines Erachtens etwas nicht in Ordnung war, seine steife Höflichkeit. Man überschlug sich regelrecht, um uns die Türen auszuhalten, etwas, womit ich mich nur schwerlich anfreunden konnte. Meistens war ich schneller, bis ich bemerkte, dass das unsere Guides in ihrer Dienstleistungsorientiertheit verletzte. Sie weigerten sich mit uns zusammen zu essen und hielten immer Abstand. Das man uns nicht mit "Miss" anredete, ist auch wirklich alles. 
In Bangkok hatte ich das Gefühl, die Einheimischen würden auf uns herab blicken. In Kambodscha empfand ich die Menschen, von den überdrüssigen Marktverkäuferinnen mal abgesehen, devot in ihrem Auftreten. Es amüsierte mich in jedem Fall, auf Dauer würde ich damit allerdings nicht zurecht kommen. Interessant war es alle mal. 
Ich blickte an diesem Abend voller Wehmut auf den herannahenden Abflug und hoffte, eines Tages mit mehr Zeit zurückzukommen, um mehr von diesem bezaubernden Land zu erkunden.