In Erwartung/La lune rousse

Ein Glas Rotwein, eine Zigarette, eine Zigarette, eine Zigarette, ein Glas Rotwein, eine Zigarette, eine Zigarette, ein Glas Rotwein, ins Bett. Mein Abende seit einer Woche. 
Ich habe etwas beendet, das nie richtig angefangen hat. Die Gedanken an das, was hätte passieren, sein können, ganz vielleicht, waren das Elixier meiner Liaison. Diese Rolle übernimmt jetzt der Rotwein. Wieso, wieso, wieso, wieso? Wieso schreibst Du nicht? Wieso willst Du mich nicht? Wieso will ich Dich eigentlich?
Ja, warum will ich Dich eigentlich? Du hast mir nichts von Dir gegeben oder gezeigt, oftmals nicht einmal Anstand. Ich wusste zu jeder Zeit, dass ich ein Zeitvertreib bin. Dasselbe hatte ich mit Dir vor. Aber irgendetwas zog mich in den Bann, schon in dem Moment, als Du zu spät und zum ersten Mal vor mir standst. Die Arroganz, das Spiel aus Nähe und Distanz? Wer verhält sich so offensiv abweisend? Und wem gefällt so etwas? Offensichtlich Dir und mir. 
Du spielst, ich spiele mit, aber schon beim ersten Schlagabtausch gleitet mir der Ball aus den Händen. Hast Du meinen Ehrgeiz geweckt, dieses Spiel zu gewinnen? Und bist Du die Trophäe? 
Reizt mich das Rätsel? Ja, all das und noch mehr. Aber vieles ist so intim, dass ich mich nicht einmal traue, es diesem leeren Blatt Papier anzuvertrauen...

Als ich im Sommer begann Männer zu treffen, tat ich das aus dem verbitterten Grund der Erwartungsentwöhnung. Ich wollte meine romantischen Vorstellungen im Keim ersticken. Zu lange, viel zu lange, lag ich in meinem warmen, vertrauten Kokon aus Einsamkeit. Versteckte mich vor der Welt, aus der Angst heraus, sie würde mich verletzten. Und so träumte ich Jahr um Jahr vor mich hin und war glücklich mit meiner Fantasie. Hier war ich sicher. Hier konnte mir keiner was. Ich liebte und ich wurde geliebt. Vergrub meinen Kopf zwischen Büchern, wenn ich nicht zur Musik wegdriftete. Vielleicht wollte aber auch meine innere, heimliche Romantikern, die sich hinter Stolz und Zynismus versteckt, einen Versuch wagen. Aber verlasse ich das Haus, sehe ich die Welt wie sie ist und stelle fest, dass das, was ich träume, nicht existiert. Menschen tun sich weh, lügen sich und andere an, hintergehen sich. Menschen geben auf, laufen weg und hören nicht mehr zu. Jeder ist mit sich selbst beschäftigt. Höher, schneller, weiter. Menschen haben aufgehört sich anzusehen. Alle laufen voller Angst etwas zu verpassen durch die Welt. Immer auf der Suche nach etwas Besserem. 
Mein Bedürfnis zurück ins Bett und in meine Traumwelt zu kriechen sind dann besonders groß, aber Träume halten einen nur dann lebendig, wenn man ihnen folgt. Also ging ich raus und traf verhältnismäßig wahllos Männer, um mir klar zu machen, was es eben nicht gibt. Meine infantile, selbst konstruierte und vollkommen unrealistische Vorstellung von Liebe. Oder, oder, ganze, ganz, vielleicht, finde ich ja doch, wonach ich mich sehne. Tiefe Verbundenheit, tiefe Zuneigung. Eine echte Liebe.




Und fing an. Ich traf kleine Männer, große Männer. Studenten, Doktoranden, Musiker, Handwerker und Unternehmer. Mit dem einen mehr, mit dem anderen weniger. Keiner berührte mich, weder körperlich noch geistig. 
Und dann traf ich unerwartet einen, der mir weniger als die anderen gab, aber von dem ich alles wollte. Und hatte über die Jahre vergessen wie es ist, nicht schlafen zu können und dümmlich grinsend durch die Gegend zu laufen. Manchmal war ich nicht sicher, ob ich mich überhaupt wieder begeistern und dann sogar verlieben könnte. Das Gefühl überwältigte mich, überforderte mich, machte mir Angst. Ich fühlte mich wie ein emotionales Wrack, gefangen zwischen Hoch und Tief, in ständiger Erwartung. Nur verstehe ich nicht, in was ich mich verliebt habe. Er kam zur Tür rein und um mich war es geschehen. Liebe auf den ersten Blick nennt man es wohl. Dumm nur, wenn nur einer hinseht.
Ließ mir seine Art gefallen und verdrängte meinen Stolz. Ließ meinen Frust überall raus, aber nicht bei ihm. In was habe ich mich verliebt? Ich verstehe es nicht. Die ungestüme Art, die Selbstsicherheit, die Arroganz? Oder bin ich am Ende gar nicht in den Mann, sondern in das Gefühl verliebt? Oder bin ich weder in den Mann, noch in das Gefühl verliebt, sondern ein biochemisches Opfer? Hat mein Hirn einfach bei seinem Anblick beschlossen ein paar Bindungshormone wie im Winterschlussverkauf auszuschütten? Oxytocin-Happy Hour? Seine Locken kringeln sich so süß um die Ohren, da geben wir zwei zum Preis von einem!
Wollte ich nur etwas gewinnen? Ich weiß so gut wie nichts über den Mann, außer, dass ich seinen Penis mochte und seine Locken. Bin ich am Ende einfach nur primitiv? Oder mache ich es mir zu einfach? Muss es überhaupt eine Erklärung für ein Gefühl geben? Ja, ja, muss es! Sonst halte ich die Stille zwischen uns bis zum Vergessen nicht aus. Und halte den ohrenbetäubenden Krach in meinem Kopf nicht aus. Wo lag der Fehler? Wieso, wieso, wieso, wieso? Wieso schreibst Du nicht? Wieso willst Du mich nicht? Wieso will ich Dich eigentlich? 

Oh, mein Herz. Wie traurig es mich macht, dass ich schon wieder vergessen muss. Das ich diesem so besonderen Gefühl abschwören muss, bevor ich es überhaupt genießen konnte. Vom Ende ohne Anfang schreibe. Ich kenne kein anderes Gefühl, welches mir so eine Lust aufs Leben gibt. Mein Leben lebendig macht. Es kostet mich meine gesamte Energie zu gehen, statt hoffend zu warten.

Aber ich habe ein wenig Glück verdient, um die Romantikern zu nähren und die Zynikerin zu besiegen. Ich bin überraschend und unerwartet Achterbahn gefahren und steige nun aus. Denn die Welt kann mich nur verletzen, wenn ich es zulasse. Mit höchster Selbstdisziplin halte ich den Abschied zwischen dem Mann, der mich zum ersten Mal seit Jahren verzauberte, aus. Man aller Kraft unterdrücke ich jeden Impuls ihn zu kontaktieren. Mein Gott, ist Verliebtsein würdelos.

Um den letzten Funken Achtung für mich selbst zu bewahren, gehe ich aber nicht zurück ins Bett, um mich unrealistischen Träumen hinzugeben. Die Sehnsucht ist so lebendig, wie seit vielen Jahren nicht. Und sie steht aufrecht, verlangt nach Erfüllung, da das beendete Intermezzo, zu kurz, zu leblos, zu oberflächlich war, um nachhaltig Schaden anzurichten. Sage ich mir. Belüge mich und meine Umwelt für den Moment und warte auf den Tag, an dem ich genau das aufrichtig denke.
Also wo war ich? Ja ja, die Sehnsucht. Die Sehnsucht ist da, wach und ich lasse sie, so wie sie ist. Gestehe ihr zu mit mir durch den Alltag zu laufen, statt mit mir im Bett zu kuscheln. Ich bleibe in Erwartung und belasse die argwöhnische Zynikerin und die naive Träumerin in der Realität. Bleibe dort und warte, nein erzwinge, das neuerliche Einsetzen der Musik. Finde raus, was ich nicht will und was mich begeistert. Finde Lebendigkeit. Betont lässig und unberührt springe ich zurück in den Dating-Dschungel. Nun auch auf der Suche nach etwas Besserem. 


Und dann, ja dann, treffe ich wieder verhältnismäßig wahllos Männer. Kleine Männer, große Männer. Studenten, Doktoranden, Musiker, Handwerker und Unternehmer. Mit dem einen mehr, mit dem anderen weniger. 
Und einer wird mich berühren. Körperlich und geistig. Und wir werden beide hinsehen. Bestimmt. Bestimmt. 
Der Rotwein ist leer, die Zigarette ausgedrückt. 

Leb wohl, Mario. Danke für die Erweckung einer alten Erinnerung. Der Erweckung eines heimlichen Traums. 

Auf Wiedersehen, Du berauschendes Gefühl der Begeisterung, Lebendigkeit und des simplen Glücks.  

Auf bald.